– von Professor Tony Attwood, Übersetzung: ProZ-Probono-Netzwerk
In diesem letzten Teil unserer vierteiligen Serie über Erkenntnisse zu Autismus spricht Professor Tony Attwood über die Prognosen bei Autismus. Im ersten Teil unserer Serie beschrieb Tony Attwood Autismus im historischen Kontext. Im zweiten Teil teilte er seine Beobachtungen darüber mit, wie verschiedene Personen mit Autismus umgehen und welche unterschiedlichen Ergebnisse sie mit diesen Bewältigungsmechanismen erzielen. Letzte Woche beschrieb Tony einige Komorbiditäten, die häufig zusammen mit Autismus auftreten.
In den letzten 50 Jahren konnte ich (Tony Attwood) den Kontakt zu autistischen Personen – vom Kindesalter bis ins hohe Alter – aufrechterhalten und auch Personen im Ruhestand für eine diagnostische Beurteilung aufsuchen. Diejenigen, die erst spät im Leben die Diagnose Autismus erhalten haben, sind oft sehr erleichtert zu wissen, warum sie anders sind, und können nun ihr Leben mit der Erkenntnis, dass sie Autismus haben, betrachten. Die Diagnose kann helfen, zu erklären, warum sie in der Schule gemobbt und gehänselt worden sind, warum sie Schwierigkeiten hatten, Freundschaften zu finden und eine langfristige Beziehung zu führen, und warum sie so sensibel sind.
Die meisten haben beschrieben, dass sich ihre psychische Gesundheit nach dem 50. Lebensjahr verbessert hat, und zwar nicht unbedingt mithilfe der Behandlung durch medizinisches Fachpersonal und Medikamente, sondern weil sie eigene Strategien entdeckt haben, indem sie gelesen, im Internet gestöbert und experimentiert haben. Wir erforschen jetzt auch, wie Wohlbefinden und Autismus einander beeinflussen. Umfragen und klinische Erfahrungen deuten darauf hin, dass Wohlbefinden dadurch erreicht werden kann, dass man tagsüber Zeit hat und in seinem eigenen privaten Zufluchtsort nicht gestört wird, dass man in der Lage ist, das zu tun, was man gerne tut, und dass man frei von sensorischen Schmerzen ist. Das alles ist machbar.
In meiner umfangreichen klinischen Erfahrung habe ich autistische Kinder kennengelernt, die das haben, was wir als reinen Autismus bezeichnen, ohne Anzeichen einer negativen Gemütslage, einer medizinischen oder psychologischen Störung. Mit Anfang zwanzig haben sie allmählich soziale Fähigkeiten erworben, um Freundschaften und Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen und eine erfolgreiche Beschäftigung sowie finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Sie konnten auch die so verwirrenden sozialen Regeln endlich entschlüsseln. Sie weisen immer noch autismustypische Merkmale auf, allerdings gemäß der Diagnosekriterien auf subklinischer Ebene. Ich schätze, dass dies bei etwa zehn Prozent der Menschen in den Kliniken, die ich kenne, der Fall ist. Ich bin in einem solchen Fall bereit, die Diagnose Autismus zu streichen, aber nur mit dem Einverständnis der betreffenden Person und falls es ihr nützt. Unser neues Bild von Autismus besagt, dass es bei einigen wenigen autistischen Erwachsenen zu einer Verzögerung beim Erwerb bestimmter Fähigkeiten kommen kann und dass diese nicht völlig fehlen müssen.
In den letzten 50 Jahren habe ich einen Beitrag zur wachsenden Literatur über Autismus für Fachleute, Eltern und autistische Erwachsene geleistet. Mein ursprüngliches Buch Das Asperger-Syndrom: Das erfolgreiche Praxis-Handbuch für Eltern und Therapeuten wurde 1998 veröffentlicht, hat sich über eine halbe Million Mal verkauft und wurde in 30 Sprachen übersetzt. Ich schreibe weiterhin Leitfäden über Autismus und Bücher über die Therapie von Angst und Depressionen sowie über den Ausdruck und die Regulierung von Emotionen. Es gibt inzwischen Hunderte von Büchern, die von Jessica Kingsley Publishers in London veröffentlicht wurden und sich mit vielen Aspekten in Bezug auf Autismus befassen, z. B. mit Katatonie, mit autistischen Beziehungspersonen, mit der Bewältigung von Gefängnisaufenthalten und mit Autismus im Alter.
Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Tony Attwood und Dr. Michelle Garnett: https://attwoodandgarnettevents.com/category/attwood-and-garnett-blog/