Von Dr. Michelle Garnett und Prof. Tony Attwood – Übersetzung: Sigrid Andersen
Einleitung
Der Begriff PDA steht für Pathological Demand Avoidance (Pathologische Vermeidung von Anforderungen und wurde von Elizabeth Newson, einer Entwicklungspsychologin aus Großbritannien, in den 1980er-Jahren zum ersten Mal verwendet. Sie beschrieb PDA als extrem große Angst, aus der das Bedürfnis entsteht, die Umgebung zu kontrollieren und Forderungen und Erwartungen zu vermeiden. Die National Autistic Society England beschreibt PDA als eine atypische Form von Autismus. Dieser Begriff erscheint aber nicht in den internationalen Lehrbüchern für die Diagnostik. Dennoch gibt es ein wachsendes Forschungs- und klinisches Interesse an PDA, da viele Menschen in der westlichen Welt dieses Profil in ihren Kindern und in der Therapie erkennen.
Die Verhaltensmerkmale von PDA wurden kürzlich in einer Forschungsstudie von O’Nions und Kollegen (2016) beschrieben:
• Nichtbefolgung selbst der harmlosesten Anfragen und das Bestehen darauf, dass andere ihre Anforderungen erfüllen
• Strategisches Vermeiden von Anforderungen
• Verhalten, das auf ein Bewusstsein dafür hinweist, was eine Ablenkung verursachen könnte
• Zwanghaftes Kontrollbedürfnis, einschließlich dominantes Verhalten;
• Kinder neigen dazu, sich selbst als mit Erwachsenen gleichgestellt wahrzunehmen
• Scheinbare Verantwortungslosigkeit oder Unsensibilität für das Leid anderer Menschen
• Geringes Bewusstsein für soziale Zusammenhänge
• Plötzliche Stimmungsschwankungen;
• Engagement und Freude an fantasievollem Rollenspiel
• Extremes Verhalten, z. B. intensive Reaktionen auf das Verlieren von Spielen, Wutausbrüche
Kinder und Jugendliche mit PDA zeigen oft positive Persönlichkeitsmerkmale wie Charisma, haben einen guten Sinn für Humor und gelten bei anderen als sympathisch, gesprächig und unterhaltsam, solange keine Anforderungen an sie gestellt werden.
Oberflächlich betrachtet wirkt PDA wie Trotz und Widerspenstigkeit. Eine kürzlich von Stewart und seinem Team im Jahr 2020 durchgeführte Studie ergab, dass Angst und Intoleranz gegenüber Unsicherheit der Grund für das Bestreben der Kinder waren, in vielen Situationen Vorhersehbarkeit und Selbstbestimmung zu erhöhen.
Gehört PDA zum Autismus-Spektrum?
PDA wird heute als eine Form von atypischem Autismus angesehen. PDA unterscheidet sich vom typischen Autismus dadurch, dass die Person eine oberflächliche Geselligkeit und die Fähigkeit zeigt, Situationen so zu lesen, dass sie diese beeinflussen kann, um die Einhaltung von Forderungen zu vermeiden. Diese Kinder schätzen Freundschaft normalerweise sehr, haben jedoch wenig Selbstbewusstsein und verstehen andere nicht, sodass sie oft keine tiefen Verbindungen zu Gleichaltrigen aufbauen können. Sie haben typischerweise sehr hohe sensorische Empfindlichkeit, eine andere Wahrnehmung von Zeit und Raum und eine relative Unfähigkeit, sich in sozialen Erfahrungen zu verankern.
Wie bewältigen Kinder mit PDA die Schule?
Eine im Jahr 2018 von der PDA Society in Großbritannien durchgeführte Umfrage ergab, dass 70 % der Kinder mit PDA in der schulischen Umgebung nicht zurechtkamen oder zu Hause unterrichtet wurden. O’Nions und ihr Team stellten 2014 fest, dass 88 % irgendwann die Schule verweigerten. Kinder und Jugendliche mit PDA sind einem hohen Risiko ausgesetzt, ihren Schulplatz durch Ausschluss zu verlieren, da Schulen oft nicht in der Lage sind, eine für das Kind angemessene Umgebung zu schaffen, sodass es den Lernprozess bewältigen kann.
Offensichtliche Stärken in ihrem Sprach- und Kommunikationsprofil führen dazu, dass Lehrkräfte es oft versäumen, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen, und vergessen zu berücksichtigen, was das Verhalten antreibt. Kinder und Jugendliche sind oft in einer maladaptiven Bewältigungsstrategie aus Vermeidung oder Streit gefangen, während die schulische Umgebung oft mit Bestrafung reagiert, was für beide Seiten das absolut Schlechteste ist.
Leider legen klinische Erfahrungen und Forschung nahe, dass die häufig für Autismus verwendeten Strategien für ein Kind mit einem PDA-Profil oft unwirksam und kontraproduktiv sind.
Quellen:
Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Tony Attwood und Dr. Michelle Garnett: https://attwoodandgarnettevents.com/category/attwood-and-garnett-blog/
Anlaufstelle Information und Beratung: FAPDA (Fachverein PDA-Autismus-Profil) https://pda-autismus-verein.org/
Buchempfehlungen:
Zirkus im Kopf von Liv Cadler/Saskia S. Neu
Ein glücklicheres Leben für dein Kind mit PDA von Alice Running.
http://www.pdaanz.com/
https://www.pdasociety.org.uk/
Der amerikanische Psychologe Dr. Ross Greene hat ein Betreuungsmodell namens Collaborative & Proactive Solutions (CPS, deutsch: Kooperative und Proaktive Lösungen) entwickelt, das sich auf Forschung und Praxis stützt und auf Zusammenarbeit und Mitgefühl beruht. Er verwendet nicht den Begriff PDA, sondern spricht stattdessen von Kindern, bei denen herausforderndes Verhalten auftritt, wenn die an sie gestellten Anforderungen und Erwartungen ihre Fähigkeit übersteigen, angepasst zu reagieren.
https://livesinthebalance.org/
O’Nions, E, · Gould, J, · Christie, P, · Gillberg, C. Viding E, & · Happé, F. (2016) Identifying features of ‘pathological demand avoidance’ using the Diagnostic Interview for Social and Communication Disorders (DISCO), Eur Child Adolesc Psychiatry 25:407–419 DOI 10.1007/s00787-015-0740-2
O’Nions E, Christie P, Gould J, Viding E, Happé F (2014) Development of the ‘Extreme Demand Avoidance Questionnaire’ (EDAQ): preliminary observations on a trait measure for pathological demand avoidance. J Child Psychol Psychiatry 55:758–768
Stewart, L, Grahame E, Honey V, & Freeston, M. (2000). Intolerance of uncertainty and anxiety as explanatory frameworks for extreme demand avoidance in children and adolescents, Child and Adolescent Mental Health 25 (2), 59-67. https://doi.org/10.1111/camh.12336